HINTERGRÜNDIGES IM DOPPELTEN SINN

Das „I Ging – Das Buch der Wandlungen“ ist ein jahrtausendealtes chinesisches Weisheitsbuch. Es umfasst 64 Hexagramme, die 64 Momente spezifischer Qualität von Geschehen in der Welt des Menschen darstellen. Das I Ging gewährt Einblicke in die unbewusste Dimension von Geschehen. Franz Stefan Kohl hat es vor dem Beginn der Arbeit an diesem Werk befragt.

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Es geht um Hintergründiges im doppelten Sinn: einerseits um die tiefere Bedeutung dieses Schaffensprozesses für den Künstler selbst und andererseits bei der Auswahl der stofflichen Hintergründe der einzelnen Hexagramme. In einem konzentrierten und zugleich rhythmischen Arbeitsprozess von rund eineinhalb Stunden, in dem die Hexagramm-Bezeichnungen (von Nr. 1 „Das Schöpferische“ bis Nr. 64 „Vor der Vollendung“) ausgesprochen wurden und Franz Stefan Kohl zügig zwei von vier Stoffen auswählte, wurde von ihm dann mittels Münzwurf der jeweilige Hintergrund bestimmt.

Der künstlerische Schaffensprozess stand anfänglich unter dem Hexagramm Nr. 59 „Die Auflösung“ und wandelte sich schließlich zur Nr. 56 „Der Wanderer“. In der bildhaften Sprache des I Gings lautet das Urteil zur Nr. 59: „Die Auflösung. Gelingen. • Der König naht seinem Tempel. • Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren. • Fördernd ist Beharrlichkeit.“ Und Nr. 56: „Der Wanderer. Durch Kleinheit Gelingen. • Dem Wanderer ist Beharrlichkeit von Heil.“ – 64 kleinformatige Tafeln bilden das große Ganze, dessen Komposition dem Unbewussten entsprang.

Elmar Schübl, Philosoph, Historiker

DIE AUGEN TANZEN MIT

Präzise, schnörkellos und mit einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik gestaltet Franz Stefan Kohl seine meist großformatigen abstrakten Bildwerke. Seine handwerkliche Vorgeschichte kommt dabei ebenso zum Ausdruck wie seine musikalische Begeisterung und die intensive Beschäftigung mit den abstrakten Kunstpositionen des 20. Jahrhunderts sowie mit der fernöstlichen Philosophie und Kunst. Das bringt das Bildgeschehen mit seinen oft unzähligen Linien immer stärker zum Tanzen – die Augen tanzen mit!

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Die Linie zieht sich konsequent durch Kohls Bilder. Acryl auf Leinwand, gedämpfte Farben auf dem meist hellgrauen oder hellbraunen Malgrund. Sie trennt, sie verbindet, zieht sich streng ausgerichtet dicht an dicht — und beginnt zunehmend diese Strenge zu überwinden. Eine poetische Leichtigkeit entsteht, mit Schwingungen und Brechungen. „Die Befreiung“, wie Kohl selbst feststellt. „Bridging The Surface“ nennt er eine Werkserie bei der die Linien in wechselnder Stärke und mit zahlreichen Abzweigungen die Eckpunkte der Fläche miteinander verbinden, auch Bögen und einzelne Kreise finden sich da nun — wie Sonnen oder Monde in einer harmonischen Landschaft. Kann man sehen, wenn man will — muss man aber nicht. Man kann sich auch einfach daran erfreuen oder in der puren Bildkomposition versinken. Oder man kann angesichts der in sanftem Hellblau, weichen Schlammfarben und tiefem Schwarz gehaltenen Linienkonstruktionen auch Erinnerungen an fernöstliche Tuchmalerei mit ihrer tiefen Kraft anklingen lassen. Der roh belassene Malgrund glitzert dabei wie Perlmutt durch und verändert diesen zauberhaften Schimmer je nach einfallendem Licht. Ergebnis der technischen Lösung die zur Fixierung der Leinwand entwickelt wurde — eine Anleihe aus der Tischlerwerkstatt.

Als Kontur der Fläche dominiert die Linie die über mehrere Jahre verfolgte Themenserie „NeoGeo“, in der sich obendrein kräftigere Farben miteinander in Beziehung setzen. Geradezu hypnotische, ineinandergeschachtelte Quadrate, in denen das immer wiederkehrende Weiß mit den dunkleren Farbschattierungen eine beeindruckende Plastizität vermittelt und gleichzeitig eine Bildbeweglichkeit erzeugt, die aus der Op-Art zu kommen scheint — optische Täuschungen sind allerdings nur ein Nebeneffekt, keine vordergründige Absicht. Die grafisch erzeugte Dynamik steht bei den Bildern aus der Gruppe der „Planimetrischen Bewegungen“ noch viel stärker im Mittelpunkt. Die Kombination aus Farb- oder auch nur Grauabstufungen und den rhythmisch gesetzten, exakt geführten Linien mit ihren dadurch begrenzten Flächen lässt den Blick ruhen, treibt ihn permanent weiter und verleiht damit auch dem Wahrgenommenen eine stete Dynamik. Eine ähnliche Wirkung haben die in Millimeterabständen gesetzten, aus der Ferne bisweilen gar nicht mehr als solche wahrnehmbaren Linien.

Verena Kienast, Kulturjournalistin

LINIE · FARBE · BEWEGUNG

Beginnend mit der Serie „Transfigurationen“, deren Einzelbilder formale Neuinterpretationen von Werken verschiedener Künstler (Egon Schiele, Pablo Picasso, Nicola de Staël, Helmut Federle und anderen) darstellen, widmet sich Franz Stefan Kohl in seiner Malerei der Verwirklichung bildnerischer Konzepte, die jeweils auf eine spezifische geometrische Anordnung von Farbflächen abzielen.

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Die daraus resultierende Ästhetik erinnert an jene, die gemeinhin mit der konstruktiven bzw. konkreten Kunst des 20. Jahrhunderts assoziiert wird. Obwohl einige Vertreter dieser Vätergeneration tatsächlich zu Kohls wichtigsten Vorbildern zählen, unterscheidet sich sein künstlerischer Ansatz vor allem in ideologischer Hinsicht doch grundlegend. War die klassische konkrete Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Überwindung des individuellen Gestus zugunsten einer zwingenden bildnerischen Logik gekennzeichnet, was in zahlreichen theoretischen Schriften Niederschlag fand, so haben sich ihre doktrinären Prinzipien im Laufe von Generationen verflüchtigt. Die Sprache der Geometrie ist also längst zu einer selbstverständlichen visuellen Ausdrucksmöglichkeit geworden, bei der es weder um die Veranschaulichung rationaler Gesetzmäßigkeiten noch um eine programmatische oder stilistische Festlegung geht, sondern um das Anverwandeln einer Tradition ohne unmittelbaren Innovationszwang. Worauf es nunmehr ankommt, ist weniger die dogmatische Visualisierung eines streng konzeptuellen Denkens als vielmehr die stimmige Umsetzung eines subjektiven und durchaus emotional geprägten Kunstwollens mittels geometrischer Elementarformen.

Für Franz Stefan Kohl sind daher die sinnlichen Eigenschaften des Bildträgers und der Farben – er arbeitet bevorzugt auf ungrundierter Leinwand oder Baumwollstoff – von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die geistigen Bildideen, die es zu realisieren gilt. Das eine bedingt gewissermaßen das andere, wobei die Wahl des Darstellungsmodus grundsätzlich offen bleibt und von Bildzyklus zu Bildzyklus variiert. Es sind verschiedene, oft durch Musikstücke oder Werke anderer Künstler inspirierte und laufend in Skizzenbüchern festgehaltene Themen bzw. Problemstellungen wie Rhythmus, Proportion oder optische Spannungszustände, die er durch das Ausloten des geometrischen Formenpotentials eigenständig und frei von jeglichem Eklektizismus malerisch zu bewältigen trachtet. Die Ausführung selbst, die dem Künstler absolute Konzentration abverlangt, kommt einem kontemplativen Akt gleich, der bis zu einem gewissen Grad auch die Wirkung der Bilder auf den Betrachter mitbestimmt.

Alexandra Schantl, Kunsthistorikerin

AUSGANGSPUNKT · ZEITLINIE · SCHNITTFLÄCHE

Franz Stefan Kohl fasst seine Arbeiten aus dem Jahr 2005/06 in diesem Katalog unter dem Begriff „neo geo” zusammen. Die kunstgeschichtlichen Resonanzen reichen tief bis in die Anfänge des 20. Jhdts zurück, an die konkrete Kunst bei Josef Albers und das Bauhaus, die russische Avantgarde, etwa Kandinskys Befreiung der Farbe von der Dingbezeichnung oder Malewitschs Reduktion der Form auf den gegenstandslosen Bildausdruck im Suprematismus; aber auch in der Gegenbewegung zum Wiener Aktionismus, der konzeptuellgeometrischen Malerei von Zobernig, Rockenschaub und Federle sieht der Künstler seine Wurzeln. Er spricht weiters von einer starken Affinität zur Architektur.

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Das intensive theoretische Studium seiner Vorbilder findet man bei Kohl in der vielschichtigen Umsetzung seiner Arbeiten konkretisiert. Das reicht tief in das Erfassen der grundlegenden Voraussetzungen künstlerischen Schaffens hinein, und beginnt sich von der Ebene der handwerklichen Perfektion im eigentlichen Sinn aus zu entfalten. Franz Stefan Kohl bezeichnet sich deshalb gerne als Bildermacher. Für ihn gehören Material, Technik und genaueste Verarbeitung zu dem durchgestalteten Gesamtkonzept seiner Bilder. Die Arbeiten sind alle auf einem einheitlichen Bildträger aufgebracht, Holzfaserplatte, Filz und grobes Leinengewebe, damit die angestrebten Formen exakt voneinander abzugrenzen sind. Auch der Eigenbau der Schattenfugenrahmen gehört dazu, ist doch der Rahmen die Brücke des Bildes zum Raum und vermittelt erst dessen Wirkung nach außen in der Fläche und im Raum. So nähern sich die Bilder Kohls durch die abgestimmte Komposition dem Objektstatus.

Die vorliegende Präsentation steckt einen Entwicklungszeitraum seines künstlerischen Schaffens ab, der thematisch klar umrissen bleibt und doch die Akzente der daraus folgenden Schritte bereits anklingen lässt, etwa in der Auseinandersetzung mit dem verzeitlichten Raum als Musik. Durch die entsprechende Entgrenzung musikalischer Konzepte in der strukturierten räumlichen Metapher, wird sich Kohl in Zukunft wohl noch stärker in seiner spezifischen Sprache ausdrücken. Die erste unmittelbare Wahrnehmung der komponierten Farbfelder, sie stehen scheinbar für sich, gleitet wie von selbst in die Auseinandersetzung der einzelnen Formen zueinander hinüber, und der anfängliche absichtslose Blick kippt in den komplexen Dialog der Bildmomente hinein.

Obwohl Kohl, außer bei den explizit thematischen Arbeiten, übergeordnete Bildideen ablehnt, treten perspektivische Momente in der Wechselwirkung der Farbfelder und deren Positionierung zueinander in Erscheinung, es drängt sich wie von selbst eine tiefe räumliche Komposition auf. Kohl versteht es durch sein ausgeprägtes Farbgefühl, das für ihn ein Ausdruck seines musikalischen Gespürs ist, beide Wege offen zu halten, die reine Betrachtung und den wirkungsvollen Dialog.

Leo Hemetsberger, Philosoph
Erstmals erschienen in „neo geo”, Wien 2006